Ayler Xmas Quintett [20221218]

Matthias Schubert- saxophones, flutes, toys
Thomas Berghammer – trumpet
Knox Chandler – guitar, electronics
Christian Meaas Svendsen – double bass
Klaus Kugel – drums, percussions

Rigobert Dittmann (bad alchemy) war bei einem dieser wunderbaren Konzerte dabei. Hier ist sein gekürzter Bericht: Der Saxophonist Mars Williams, der in den 80ern mit The Psychedelic Furs gerockt hat, fand über Hal Russells NRG Ensemble zu The Vandermark 5, Peter Brötzmanns Chicago Tentet und Boneshaker, mit Witches & Devils kam er auf Ayler, mit Xmarsx zu einem fast schon weihnachtlichen Kampfnamen und mit Switchback zum Drummer Klaus Kugel. Der Neu-Mecklenburger ist mitsamt dem norwegischen Bassisten Christian Meaas Svendsen, neben Knox Chandler rechts im Eck an der Gitarre, die er ebenfalls bei The Psychedelic Furs gespielt hat. Und obendrein bläst da Thomas Berghammer die Backen auf. Es geht ganz wonnig los mit der Chanukka-Melodie ‘Ma’oz Tzur’, bis sich mit Ayler-Spirit abrupt die Wahrheit in Marsch setzt! In accelerierendem Schweinsgalopp und mit fröhlichstem Gequieke wird man auf die Tannen gejagt. Ihr wollt die Englein singen, die Jingles bellen hören? Bitteschön! Der Krawall treibt mit fetzig geknoxter Gitarre grünste Nadeln und stellt die verkehrte Welt auf den Kopf. Rip it up, and start again, das große Postpunk-Motto, erklingt hier wiedergetauft mit den freudenfeurigen Gospels von Albert Ayler. Sogar ‚O Tannenbaum’ wird da wieder zum rührenden Spiritual, bevor Williams als ledergegerbter Zwockel, aber Ausbund an Temperament, mit spitzem Altissimo die Schweinchen auf die Trüffelpralinen hetzt …. Aber auch Chandler, ein weißhaariger Zausel Jahrgang 54, hat es echt drauf, wie er da mit Lametta flittert, mit Wunderkerzen pritzelt und im zweiten Set nochmal was Extrakakophones triggert. Kugel geigt an Metallkanten und klirrt mit Klingklang und will doch (wie er hinterher betont) keinesfalls als artbesaitet gelten. Aylers Love Cries und Prayers sind ebenso wahre Xmas-Musik wie ’12 Days of Christmas’ und ‚O Come Emmanuel’, Frohe Botschaft und Schlaraffenland fallen im ohrwurmigen ‚Island Harvest’ in eins. … Williams spielt Santa Claus, krimskramst auf dem Gabentisch nach dem Rentier und lässt zwischen jedem Vers die Band donnern und blitzen. Er und seine Mitgospler gehen die Sache an wie ich es sonst nur von The Thing her kannte, mit gießkannenrauer Verve, Aylerschem Vibrato, hymnischem Himmelfahrtsdrive oder wieder Affenzahn. Und ist es nicht ein gefundenes Fressen, wenn ‚Little Drummer Boy’ und ‚Bells’ zu EINEM Marsch werden, wenn da gekirrt wird, dass es einem am Skalp ziept? Das Ganze funktioniert aber vor allem deshalb so gut, weil Williams den abgedroschenen Stoff so radikal dehnt und staucht und dafür seinen Boys ihr ganzes improvisatorisches Geschick abverlangt. Nicht nur, um Xmas zu veraylern, sondern um die Übergänge fließend zu gestalten mit vielen auch leisen und feinen Passagen, für die er zu Flöten greift, zu Spielührchen und Quietschtierchen. Selbst ungeniert zarte Lyrismen lässt er sich auf der Zunge zergehen. Und so endet der Abend auch nach einer prächtigen Zugabe mit einem Diminuendo, bei der alle den Atem anhalten, bis die letzte Tannennadel gefallen ist. Mensch, was willst du mehr (außer mehr davon)?

Photo Bernd Scholkemper